Zwischen Zucker, Schaudern und Schweigen

Steht ein Knochenmann im Friseursalon-Schaufenster und winkt dir zu …
Irgendwie ist es seltsam normal: Alle Jahre wieder grinsen
uns an Halloween Totenköpfe an, tanzen Skelette durch Vorgärten, hängen Geister
in Fenstern oder steht gleich ein ganzer Sarg im Schaufenster eines
x-beliebigen Geschäfts ganz selbstverständlich zwischen Grusel-Kürbissen und 'ner
Menge Kunstblut. Für ein paar Tage scheint der Tod kein Tabu zu sein, sondern
Teil eines großen, schrillen Konsum-Spektakels.
Halloween ist längst mehr als ein importiertes Fest. Es ist ein Geschäft, ein Happening, ein Anlass zum Verkleiden und Naschen – besonders für Kinder, die mit fröhlicher Selbstverständlichkeit als Zombies oder wandelnde Mumien durch die Straßen ziehen. An ihnen lässt sich wunderbar beobachten, was Erwachsene oft verlernt haben: den spielerischen, unverkrampften Umgang mit Dingen, die sonst Angst machen. Für Kinder ist der Tod in dieser Form ein Kostüm, eine Fantasiefigur, nichts, wovor man in Deckung gehen muss. Vielleicht ist genau das eine Erinnerung daran, dass Angst und Neugier durchaus nebeneinander existieren dürfen.
Von All Hallows' Eve bis Día de los Muertos
Historisch betrachtet hatte Halloween gar nichts mit Gruselromantik zu tun. Der Name stammt von All Hallows' Eve, dem Vorabend zu Allerheiligen. In keltischer Tradition glaubte man, dass in dieser Nacht die Grenze zwischen den Welten durchlässig sei, d.h. dass die Verstorbenen als Geister zurückkehren und den Lebenden nahe sind. Man stellte Speisen für sie bereit, entzündete Lichter, um sie zu begrüßen, nicht, um sie zu vertreiben.
Auch in anderen Kulturen, etwa in Mexiko, wird diese Verbindung zwischen den Welten lebendig gefeiert: Beim Día de los Muertos werden Altäre geschmückt, Fotos aufgestellt, Blumen und Speisen gebracht. Der Tod ist dort kein dunkles Ende, sondern Teil des großen Kreislaufs: bunt, laut, liebevoll (und natürlich auch traurig).
Einmal im Jahr tragen wir den Tod im Gesicht

Und doch ist es paradox: In unserer westlichen Kultur haben wir den Tod weitgehend aus dem Alltag verbannt. Wir sehen ihn selten (rund 70% der Menschen sterben nicht zuhause, sondern in Krankenhäusern oder Pflegeheimen!), sprechen kaum darüber, und wenn doch, dann meist im Flüsterton. Bestattungen finden diskret statt, Trauer wird privatisiert, und wer zu lange traurig ist, gilt schnell als jemand, der nicht 'weiterkommt'.
Umso auffälliger, dass wir an Halloween kollektiv das Gegenteil tun: Wir tragen den Tod auf der Brust, malen ihn ins Gesicht, dekorieren unsere Wohnungen und Häuser damit und zucken nicht vor jedem Totenkopf erschrocken zusammen. Vielleicht ist das für manche tatsächlich ein Ventil – ein einmal im Jahr erlaubter, makaberer Flirt mit der eigenen Sterblichkeit. Vielleicht auch ein unbewusstes Ritual, um das Undenkbare doch ein kleines Stück greifbarer zu machen. Gut so, eigentlich. Denn man darf dabei nicht vergessen: Für viele ist Halloween schlicht einfach nur ein Riesenspaß. Und natürlich auch ein Riesengeschäft. Millionen Euro werden jährlich in Deko, Kostüme, Süßigkeiten und Events investiert. Der Tod verkauft sich gut, solange er hübsch inszeniert und schnell wieder wegräumbar ist. Vielleicht ist genau das der Knackpunkt: Wir haben kein Problem damit, den Tod zu verkleiden, aber ein großes, ihn wirklich anzuschauen.
Zwischen Kommerz und Kontemplation
Dabei steckt in diesem Tag auch eine Chance. Halloween, Allerheiligen, Allerseelen: Sie alle sind ursprünglich Tage der Erinnerung. Tage, die uns einladen, die Verbindung zu denen zu spüren, die nicht mehr da sind. Und das darf doch durchaus leicht und lebensnah sein, so wie in Mexiko, wo an den Gräbern getanzt, gesungen und gelacht wird.
Auch hierzulande könnte es ein Impuls sein, das Thema Tod aus der dunklen Ecke zu holen, nicht nur für eine Nacht im Jahr, sondern als Teil des Lebens, als Gesprächsthema, als etwas, das uns alle betrifft.
Leben mit dem Tod – jeden Tag

Denn makaber zu sein, kann gesund sein. Humor ist oft die eleganteste Form, mit dem Unfassbaren umzugehen. Aber noch schöner wäre es, wenn wir den Tod nicht nur als Kostüm tragen würden, sondern als stillen Begleiter akzeptieren könnten; einen, der uns daran erinnert, das Leben bewusst zu feiern. Nicht nur mit Kunstblut und Plastikgräbern, sondern mit echten Begegnungen, Erinnerungen, Gesprächen. Puh, schwierig, ich weiß, aber vielleicht sollten wir "einfach" weniger Angst vor dem Tod haben und mehr Angst davor, ihn zu vergessen.
Happy Halloween!